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Gewalt in der Pflege

Gewalt in der Pflege ist ein komplexes und sensibles Thema, das oft tabuisiert wird. Dennoch, oder gerade deshalb, ist es umso wichtiger über dieses Thema aufzuklären. In diesem Artikel werden wir die verschiedenen Formen von Gewalt beleuchten, Fallbeispiele geben und Präventionsmaßnahmen aufzeigen.


Definition von Gewalt in der Pflege

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gewalt gegen ältere Menschen wie folgt: „Unter Gewalt gegen ältere Menschen versteht man eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird.” 

Menschen können in der Pflege auf verschiedene Arten Gewalt erfahren. So gibt es von psychischer über körperliche Gewalt und Misshandlung bis hin zu Vernachlässigung und sexualisierter Gewalt.


Wer ist am häufigsten von Gewalt betroffen?

Pflegebedürftige Menschen sind die Hauptopfer von Gewalt in der Pflege, aber auch pflegende Angehörige und Pflegepersonal können betroffen sein. Gewalt kann von beiden Seiten kommen. Das bedeutet, auch das Pflegepersonal kann Opfer von Aggression und Gewalt, zum Beispiel durch die/den Pflegebedürftigen, aber auch ihre/seine Angehörige werden.

Symbolbild Gewalt in der Pflege
Symbolbild: Gewalt in der Pflege


Formen und Beispiele für Gewalt

Körperliche Gewalt

Körperliche Gewalt bezieht sich auf Handlungen, die physischen Schaden oder Verletzungen an einer Person verursachen oder darauf abzielen, dies zu tun. Dies kann eine breite Palette von Verhaltensweisen umfassen, von Schlägen, Tritten und Ohrfeigen bis hin zu schwerwiegenderen Formen der Misshandlung wie Folter oder Mord. Körperliche Gewalt kann auch den Einsatz von Waffen oder anderen Gegenständen zur Verursachung von Verletzungen einschließen.

In der Pflegeumgebung kann körperliche Gewalt von der pflegebedürftigen Person, den Angehörigen oder Pflegekräften ausgehen. Sie kann einmalig oder wiederholt auftreten und sowohl offensichtlich als auch subtil sein. Zum Beispiel ist das grobe Anfassen einer pflegebedürftigen Person, das zu blauen Flecken oder Schmerzen führt, eine Form der körperlichen Gewalt.


Psychische Gewalt

Psychische Gewalt bezieht sich auf Handlungen, die darauf abzielen, emotionalen oder psychologischen Schaden bei einer Person zu verursachen oder ihr Wohlgefühl zu beeinträchtigen. Diese Form der Gewalt kann ebenso schädlich sein wie körperliche Gewalt, ist jedoch oft schwerer zu erkennen, da sie keine sichtbaren Verletzungen hinterlässt.

Psychische Gewalt kann viele Formen annehmen, darunter:

  • Verbale Angriffe wie Beleidigung oder Herabwürdigung
  • Manipulation und Kontrolle
  • Einschüchterung und Drohungen
  • Isolation von Freunden und Familie oder andere freiheitsentziehende Maßnahmen 
  • Emotionaler Missbrauch, etwa durch ständige Kritik oder Herabsetzung

In der Pflegeumgebung kann psychische Gewalt von der pflegebedürftigen Person, den Angehörigen, oder auch von anderen Pflegekräften ausgehen. Sie kann sich in Form von Respektlosigkeit, Übergriffen auf die Privatsphäre oder in Form von Mobbing äußern.

Diese Form der Gewalt kann schwerwiegende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit des Opfers haben, einschließlich Angststörungen, Depressionen oder sogar posttraumatischen Belastungsstörungen. 


Vernachlässigung

Vernachlässigung bezieht sich auf das Versäumnis, die grundlegenden physischen, emotionalen oder psychologischen Bedürfnisse einer Person zu erfüllen, was zu einem Schaden oder einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens führen kann. In der Pflegeumgebung kann Vernachlässigung verschiedene Formen annehmen, darunter:

  • Medizinische Vernachlässigung: Versäumnis, notwendige medizinische oder pflegerische Versorgung bereitzustellen.
  • Emotionale Vernachlässigung: Mangel an emotionaler Unterstützung oder Zuneigung.
  • Soziale Vernachlässigung: Isolation oder Ausgrenzung der pflegebedürftigen Person.
  • Hygienische Vernachlässigung: Versäumnis, für saubere und sichere Lebensbedingungen zu sorgen; Vernachlässigung der körperlichen Pflege. 

Vernachlässigung kann sowohl absichtlich als auch durch Unwissenheit oder Überforderung der Pflegepersonen geschehen. Sie kann schwerwiegende Folgen für die Gesundheit und das Wohl der pflegebedürftigen Person haben und sollte daher ernst genommen werden.


Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt bezieht sich auf unerwünschte sexuelle Handlungen, die gegen den Willen (ohne ihre Zustimmung) einer Person durchgeführt werden. Dies kann eine Reihe von Verhaltensweisen umfassen, von unerwünschten sexuellen Kommentaren und Berührungen bis hin zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch. In der Pflegeumgebung kann sexualisierte Gewalt von der pflegebedürftigen Person selbst, von Pflegekräften, Pflegepersonen oder von anderen Personen im Umfeld der pflegebedürftigen Person ausgehen.

Sexualisierte Gewalt kann tiefgreifende physische und psychische Auswirkungen auf das Opfer haben, einschließlich Verletzungen, sexuell übertragbarer Infektionen und psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen.


Ursachen für Gewalt 

Überforderung und Überlastung sind Hauptfaktoren, die zu Gewalt in der Pflege führen können. Pflegende Angehörige und Pflegepersonal stehen oft unter enormem Druck, da sie nicht nur für die körperliche, sondern auch für die emotionale und psychische Betreuung der Pflegebedürftigen verantwortlich sind. Diese hohe Verantwortung, kombiniert mit Zeitdruck und oft unzureichenden Ressourcen, kann zu Stress, Erschöpfung und schließlich zu aggressivem Verhalten und (ungewollter) Gewalt führen. In solchen Fällen ist es nicht ungewöhnlich, dass die Pflegekräfte und -personen ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigen, was zu einer weiteren Verschärfung der Situation führen kann. Ein Beispiel für Gewalt an Pflegebedürftigen ist zum Beispiel das Vernachlässigen der Person, egal aus welchem Grund. 

Gewalt, die von Pflegebedürftigen ausgeht, kann durch Demenz bedingt sein: Demenz kann in verschiedenen Phasen der Erkrankung zu aggressivem Verhalten führen. Dies kann sich beispielsweise gegen Pflegekräfte, oder -personen und ihre Angehörigen richten. Aggressives Verhalten kann durch verschiedene Auslöser hervorgerufen werden, wie zum Beispiel Verwirrung, Angst oder physisches Unwohlsein. Das Erkennen und Verstehen dieser Auslöser erfordert zumeist spezielle Schulungen und eine hohe Sensibilität.


Familienkonflikte als weitere Ursache

Eine weitere Ursache für Gewalt gegen Pflegebedürftige können Konflikte in der Familie sein. Ursachen für Konflikte zwischen Familienmitgliedern können die Uneinigkeit über die Pflege sein oder auch die finanzille und/oder die emotionale Belastung der Pflegesituation.  Es kann vorkommen, dass sich Konflikte zwischen Angehörigen  direkt auf die Pflegesituation bzw. Pflegebedürftigen auswirken. In extremen Fällen kann dies zu Vernachlässigung (z.B. als Strafe) oder sogar zu physischer und psychischer Gewalt gegen den Pflegebedürftigen führen. Die emotionale Belastung, die durch familiäre Konflikte entsteht, kann aber nicht nur Gewalt fördern, sondern auch die Qualität der Pflege beeinträchtigen.


Welche Anzeichen für Gewalt gibt es?

Anzeichen für Gewalt können vielfältig sein. Körperliche Gewalt ist oft am einfachsten zu erkennen, aber psychische Gewalt und Vernachlässigung sind subtiler und daher schwerer zu identifizieren. Häufige Anzeichen dafür, dass eine Person Gewalt ausgesetzt ist, können unerklärliche Verletzungen oder plötzliche Verhaltensänderungen bei der pflegebedürftigen Person sein. Auch die offensichtliche Überforderung oder Überlastung der Pflegepersonen könnte ein Indiz für ein erhöhtes Aggressions- oder Gewaltpotential sein. Dies könnte sich beispielsweise in Angespanntheit, Schimpferei oder Erschöpfung wiederspiegeln. 


Gewalt in der Pflege vorbeugen: Prävention als Maßnahme gegen Gewalt

Um Gewalt in der Pflege vorzubeugen, ist Prävention ein Schlüsselwort. Eine Option für die Prävention von Gewalt ist die regelmäßige Schulung von Pflegepersonal. In diesen Schulungen werden Verhaltensweisen erläutert und Auswege aufgezeigt. Außerdem widmen sich viele Schulungen dem Thema der Identifizierung von Risikofaktoren für Gewalt und der Anwendung von Deeskalationstechniken. Weiterbildungsprogramme sollten auch den Umgang mit speziellen Herausforderungen, wie der Pflege von Menschen mit Demenz, abdecken. Durch die Kombination von Schulung, Sensibilisierung und kontinuierlicher Unterstützung können Pflegekräfte besser auf die Herausforderungen der Pflege vorbereitet werden, was letztlich dazu beiträgt, das Risiko von Gewalt zu minimieren.

Pflegeperson, wie pflegende Angehörige, können kostenfreie Kurse besuchen und sich (nicht nur bei Überforderung) beraten lassen. Weitere Informationen dazu finden Sie in diesem Artikel. Darüber hinaus können viele Anzeichen von Gewalt in der Pflege durch regelmäßige Gespräche und Beobachtungen mit den Pflegepersonen, Pflegebedürftigen oder dem Pflegepersonal frühzeitig erkannt werden. 

Bei häuslicher Pflege durch Angehörige ist außerdem die Übernahme einiger Pflegeaufgaben durch geschultes Personal eines ambulanten Pflegediensts eine mögliche Lösung. So kann der Stress und die Verantwortung der Pflegepersonen reduziert und einer Überforderung vorgebeugt werden. Darüber hinaus kann es vorkommen, dass für einige Familien die häusliche Pflege keine umsetzbare Option ist. Andere Möglichkeiten wie Wohngruppen oder Pflegeheime sollten dann in Betracht gezogen werden.


Was tue ich, wenn ich eine Form von Gewalt gegen Pflegebedürftigen wahrnehme?

Menschen, die Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen oder Anzeichen davon beobachten, sollten dies unverzüglich melden. Anlaufstellen dafür sind die Heimleitung bei stationärer Pflege oder Pflegetelefone, wie zum Beispiel das des Bundesfamilienministeriums

Es gibt außerdem Krisentelefone für Fachpersonen des Gesundheitswesens, die zum Beispiel in Belastungssituationen angerufen werden können.

Auch Personen, die selbst Gewalterfahrungen in der Pflege machen, sollten diese unbedingt melden. Nur so kann gegen das Thema Gewalt in der Pflege nachhaltig angegangen und die Qualität in der Pflege verbessert werden. 


Fallbeispiel: Gewalt in der häuslichen Pflege – Der Fall von Bernadette M. 

Bernadette M. ist 76 Jahre alt und an Parkinson erkrankt. Sie wird zu Hause von ihrem Sohn gepflegt. Eine Nachbarin, Sabine S. bemerkt, dass Bernadette M. immer seltener auf dem Balkon erscheint und wenn, dann oft traurig und deprimiert aussieht. Bei einem zufälligen Treffen im Treppenhaus mit dem Sohn von Bernadette M., spricht Sabine S. ihn auf ihre Beobachtung an. Als er daraufhin gereizt reagiert und dem Gespräch ausweicht, wird Frau S. misstrauisch. Sie entscheidet sich ein direktes Gespräch mit Bernadette M. zu suchen.

Bei ihrem Besuch bemerkt sie, dass Bernadette M. blaue Flecken am Handgelenk hat. Sie entscheidet sich wenig später das örtliche Sozialamt zu kontaktieren und schildert ihre Beobachtungen. Das Sozialamt nimmt den Fall ernst und schickt einen Sozialarbeiter für eine unangekündigte Kontrolle vorbei. Dieser stellt fest, dass Bernadette M. Anzeichen von Vernachlässigung und körperlicher Misshandlung aufweist.

Bernadette M.s Sohn wird vorläufig das Pflegerecht für seine Mutter entzogen. Außerdem wird gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bernadette M. wird in einem Pflegeheim untergebracht, bis die Situation geklärt ist. Zukünftig möchte Bernadette M. nicht mehr von ihrem Sohn gepflegt werden. Stattdessen erhält sie Unterstützung von einem ambulanten Pflegedienst. 

Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, auf Anzeichen von Gewalt zu achten und diese ernst zu nehmen. Durch das beherzte Eingreifen der Nachbarin und die schnelle Reaktion des Sozialamts konnte weiteres Leid für die Pflegebedürftige verhindert werden. Es zeigt auch, dass Gewalt in der Pflege nicht nur in (stationären) Pflegeeinrichtungen, sondern auch in der häuslichen Pflege durch Familienangehörige oder andere Pflegepersonen vorkommen kann. Präventive Maßnahmen und eine offene Kommunikation sind entscheidend, um solche tragischen Fälle zu verhindern und eine gewaltfreie Pflege zu ermöglichen.


Fazit

Es gibt unterschiedliche Formen von Gewalt gegenüber älteren Menschen. Genauso vielfältig wie ihre Formen, sind auch ihre Ursachen: Überforderung mit der Situation ist eine der häufigsten. Auch in der professionellen Pflege kann es zur Entstehung von Gewalt kommen – sowohl das Pflegepersonal als auch die Pflegebedürftigen können Opfer von Gewalt werden. Umso wichtiger ist es, aufzuklären, Gegenmaßnahmen aufzuzeigen und somit gewalttätiges Verhalten zu vermindern. 

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